OSTFRIESEN SIND ES GEWOHNT, BLONDINEN EBENFALLS: WITZE AUF IHRE KOSTEN. AUCH BRATSCHERINNEN UND BRATSCHER MÜSSEN EINIGES ÜBER SICH ERGEHEN LASSEN. ES SOLL SOGAR DISSERTATIONEN ÜBER BRATSCHERWITZE GEBEN. DABEI IST DIE BRATSCHE VIEL MEHR ALS DIE UNSICHTBARE SCHWESTER DER GEIGE.
Wenn Stefan Hammermayer als Kind eines nicht wollte, dann war es Geigenspielen lernen. Er hat alles versucht den Vater auszutricksen. Als Orchestercellist wollte der seinem Sohn unbedingt die Violine schmackhaft machen. „Ich fand Geige entsetzlich. Ich habe endlose Methoden erfunden, um mich vor dem Üben zu drücken. Die Geige war mir zu hoch und zu quietschig. Ich konnte mit dem E-Saiten-Klang nichts anfangen“, sagt der Bratschist der Bad Reichenhaller Philharmoniker. Einmal hat Stefan Hammermayer seinen Geigenkasten sogar hinter der Garage im Laub versteckt. Seinen Eltern erzählte er, sie sei verschwunden, vielleicht habe sie jemand gestohlen. Dummerweise entdeckte der Nachbar das Instrument. „Ich bekam das Wort zum Sonntag und einen Satz heiße Ohren“. Irgendwann habe sein Vater dann ein Einsehen gehabt und in Stefan Hammermayers Kinderzimmer lag eine Bratsche. Stefan war neugierig. Das Instrument sah aus wie eine Geige, nur größer. Und es hatte einen ganz anderen Klang: tiefer, voller. „Das hat mich angesprochen“, sagt er. Mit vierzehn Jahren durfte er also die Geige in die Ecke stellen und Bratsche spielen.
TIEF UND AUSGLEICHEND
Die Bratsche, auch Viola genannt, ist die große Schwester der Violine. Sie hat einen größeren Korpus, längere Saiten und höhere Zargen. Ihre Tonlage ist eine Oktave höher als beim Cello und eine Quinte tiefer als bei der Geige. Im Orchester übernimmt die Bratsche die Alt-Stimmlage, während die Geige ein Sopran-Instrument ist. Die C-Saite ist bei der Bratsche die tiefste Saite, die hohe E-Saite fällt weg. Diese tiefe C-Saite gibt dem Instrument seinen eigenen, dunklen, kraftvollen, manchmal sogar düsteren Klang. „Die Violine führt, die Viola bleibt im Schatten. Dafür besitzt die Bratsche durch die tiefe C-Saite eine eigenartige Herbheit, kompakt, etwas heiser, mit dem Rauchgeschmack von Holz, Erde und Gerbsäure“, hat es der ungarische Komponist György Ligeti mal beschrieben. Als Mittelstimmen sorgen Bratschen für Ausgleich, helfen im Bass aus, haben aber auch kein Problem, kurz die Melodie zu übernehmen, wenn Geigen sich mal ausruhen müssen. Bratschistinnen und Bratschisten drängeln sich nicht in den Vordergrund.
Ich bekam das Wort zum Sonntag, und einen Satz heiße Ohren…
IMMER MIT DER RUHE
Im Orchester spielte die Bratsche bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eine untergeordnete Rolle. Oft wurden schlechtere Geiger auf die Bratsche umbesetzt – der Umstieg von einer Violine auf Viola war nicht schwer. Das hat dem Instrument den Ruf beschert, es bräuchte nicht viel Geschick, um es zu spielen. Erst in romantischen Orchesterwerken bekam die Bratsche mehr Bedeutung. Wegen ihrer Klangfarbe brillierte sie hauptsächlich in langsamen, getragenen Passagen. Sololiteratur für Bratschen blieb vor dem 20. Jahrhundert allerdings weiterhin Mangelware. All das führte zu einem Klischeebild des vermeintlich langsamen, schwerfälligen, unbegabten, faulen Bratschisten. „Ein Instrument, für das es wenig Literatur gibt, will keiner studieren und Komponisten komponieren nicht für ein Instrument, das keiner spielen will“, erklärt Stefan Hammermayer. Dabei hat er seine zweite Wahl nie bereut.Die ersten Jahre unterrichtete ihn eine Orchesterkollegin des Vaters. Sie lehrte ihn ein Stück zu entdecken, zu interpretieren. „Sie hat mich ausschließlich mit Worten angeleitet und ich habe sehr viel gelernt.“ Am Konversatorium in Nürnberg brachte ihn sein dortiger Lehrer sofort als Aushilfe am Opernhaus unter. Stefan Hammermayer lernte sämtliche Orchesterliteratur und das Spielen vom Blatt, was ihm beim Probespiel bei den Bad Reichenhaller Philharmonikern mit ihrem immens großen Repertoire von Vorteil war.
Welche Fähigkeiten man gemeinhin fürs Bratschenspielen braucht? „Große Hände und lange Finger das erleichtert es ungemein“, sagt Stefan Hammermayer und – zurück zum Bratscherwitz – dass man nicht zu schnell sein darf. Wer im Straßenverkehr schon mal geblitzt wurde, ist als Bratschist nicht geeignet, so der Ulk. „Wo die Geigen 16 schnelle Töne spielen, spielen wir einen. Deswegen sagt man, wir seien langsam und träge. Dabei sind wir der ruhende Pol im Orchester“, erklärt Stefan. „Wo Kompositionen auf die Bratschen verzichten, wird der Klang dünn, fast ärmlich. Das können auch Zweite Geigen nicht ausgleichen. Geige bleibt Geige und Bratsche bleibt Bratsche.“ Wäre der Trick von Stefans Vater mit dem Unterjubeln der Bratsche nicht aufgegangen und ihm seine fehlenden Fähigkeiten in Mathematik nicht in die Quere gekommen, wäre Stefan Hammermayer gerne Klarvierbauer geworden. Ohne Mathematik im Abitur führt allerdings kein Weg dorthin. Klavierbauer müssen exakt rechnen können. Dafür kann Stefan Hammermayer Klaviere stimmen und wird dafür häufig angefragt. Ein Klavier zu stimmen ist nicht weniger anspruchsvoll als es zu bauen. Ob man den richtigen Ton trifft, entscheiden Bruchteile von Millimetern. Knapp daneben ist auch vorbei. Es braucht die Kombination aus manueller Fähigkeit und perfektem Gehör. Hauptsache Bratschist Stefan Hammermayer muss sich nie wieder mit dem E-Saiten-Klang der Geige befassen.
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