Wurden auch Sie während des Corona-Lockdowns von Mitgliedern der Philharmonie angerufen? Die Telefonständchen in der konzertlosen Zeit von März bis Juni waren eine Idee von Agnes Haitz, Violinistin und Orchestervorstand. Auch Kollegen und Kolleginnen aus Orchester und Vorstand beteiligten sich an den Anrufen bei Abonnenten und Stammgästen, deren Telefonnummern bekannt waren.
Frau Haitz, wie ist es zu den Telefonständchen gekommen?
Zu Beginn der Coronakrise im März stand die Frage im Raum, wie wir den Kontakt zu unserem Publikum halten können. Kurzerhand ergriff ich, sozusagen als Sofortmaßnahme, den Telefonhörer und wählte die Nummer eines Ehepaares, das zu unserem Stammpublikum gehört.
Wie war der Ablauf der Telefonate?
Zunächst stellte ich mich vor, dann sprachen wir meist ein wenig über die Unbillen der Coronazeit. Danach spielte ich ein kurzes Stück, vor allem eingängige Stücke mit Wiedererkennungseffekt, vorwiegend von Mozart. Die Freude am anderen Ende der Leitung war jedes Mal riesig. Mir war es wichtig, die Leute wissen zu lassen, dass wir sie vermissen und viel lieber live für sie spielen würden. Denn es besteht eine Wechselwirkung zwischen Publikum und Orchester. Wir brauchen unser Publikum und das Publikum braucht uns. Eine Tatsache, die mir in Gesprächen immer wieder bestätigt wurde.
Was ist Ihnen als persönlicher Gewinn besonders in Erinnerung geblieben?
In dieser proben- und konzertlosen Zeit wusste niemand, wie es nun weitergehen würde. Es herrschte in der Bevölkerung große Betroffenheit über die herrschende Situation. Die Telefonaktion war für mich eine Möglichkeit, einige Menschen unmittelbar zu erreichen und zu überraschen, auch als eine Form von Publikumsbetreuung.
Am meisten schätzte ich die zwar kurzen, jedoch intensiven und sehr herzlichen Begegnungen: zum Beispiel mit einer Dame, der ich zu ihrem 100. Geburtstag ein Ständchen spielte. Oder mit einer anderen Dame, die mir trotz ihrer Blindheit eine sehr positive Lebenseinstellung vermittelte. Bei einem der Anrufe lernte ich eine Dame kennen, die seit mindestens 50 Jahren durchgehend Abonnentin bei uns ist. Sie hatte nicht nur die verschiedenen Chefdirigenten von Dr. Wilhelm Barth bis Christian Simonis miterlebt, sondern auch die Entwicklung des Orchesters auf ihre eigene Art wahrgenommen.
Besonders gefreut hat mich ein Erlebnis mit einem frisch vermählten Paar. Die beiden hatten am Anfang der Coronakrise geheiratet und mussten auf ihre Hochzeitsreise verzichten. Mit leuchtenden Augen erzählten sie mir vom Anruf einer Kollegin und dass sie mit ihrer Tochter am Klavier den Schwan von Camille Saint-Saents für sie gespielt habe. Solche Momente werden für mich eine bleibende Erinnerung an diese ungewöhnliche Zeit sein.