Lasst klingen!

EVANGELISCHE STADTKIRCHE BAD REICHENHALL, EINE EISENBESCHLAGENE HOLZTÜR IN DER KIRCHENWAND. ES GEHT 38 AUSGETRETENE STUFEN AUFWÄRTS ÜBER EINE SCHWINDLIG MACHENDE SCHNECKENHAUSWENDELTREPPE, SO ENG. FÜR KANTOR MATTHIAS ROTH IST ES DER ARBEITSWEG. HEROBEN AUF DER EMPORE STEHT DIE ORGEL. ACHT METER ÜBER DEN BESUCHERBÄNKEN. DIE LUFT SCHEINT DÜNNER, WEIL DIE KIRCHENFENSTER NIEDRIGER LIEGEN.

Kirchenmusik – auch Sakralmusik – meint sowohl Vokalals auch Instrumentalmusik. Sie ist bestimmt für den Gottesdienst und wird ausgeübt vom Kirchenmusiker in seiner Rolle als Chorleiter und/oder Organist. Messvertonungen, Kantaten, Motetten und Choräle bilden die Basis der Kirchenmusik. Sie unterscheidet sich von der geistlichen Musik, die nicht für die Aufführung im Gottesdienst bestimmt ist, beispielsweise Oratorien von Händel oder das Deutsche Requiem von Brahms.

Soweit die Funktionsbegriffe und Definitionen. Denn was Kirchenmusik vor allem ist, sind Klänge wie aus einer anderen Welt. Mittreißender Gospel, laut, emotional, fröhlich. Gregorianischer Choral, ergreifend einfach, den Geist beruhigend. Bachkantaten, JAUCHZET! FROHLOCKET!

Matthias Roth gibt in der Evangelischen Stadtkirche Bad Reichenhall der Kirchenmusik seit vielen Jahren ein Gesicht. Er sagt: „Musik geht durchs Ohr direkt ins Innerste, ins Herz des Menschen. Bei der Kirchenmusik kommt hinzu, dass sie etwas ausdrücken kann, was zwischen Glauben und Verstehen liegt. Sie kann Brücken bauen – und ein Gefühl für die Ewigkeit geben. Kirchenmusik ist eine Verkündigung, sie hat eine Aussage, eine Botschaft, einen Zweck. Und sie kümmert sich – wie die Kurmusik auch – um das seelische Gleichgewicht der Menschen, die kommen und auf der Suche nach Heilung und/oder Sinn sind.“

Musik ist so was Schönes, Kirchenmusik, Chormusik, klassische Musik. Wenn man zusammen Musik macht, ist es das, worum es im Leben geht: Im Kontakt mit anderen Menschen zu sein – ohne groß darüber nachzudenken…

Matthias Roth an seinem Arbeitsplatz

LAUTER PFEIFEN

Kirchenmusik hat ihre Wurzeln im frühen Christentum. In den ersten Jahrhunderten nach Christus begann man Psalmen und andere Verse zu singen. Es entstanden Choräle und Gregorianische Gesänge und immer neue Arten des Singens und der Vertonung von biblischen Strophen. Im Mittelalter fanden Instrumente Einzug in die Lieder. Innerhalb des Gottesdienstes war und ist die Orgel tonangebend. Sie ist die Königin der Instrumente, mit ihrem prächtigen Äußeren und dem gewaltigen Klang. Keine Orgel ist wie die andere. Jede ist an die Akustik des Raumes angepasst. Sie sind Meisterwerke der Feinmechanik und des Instrumentenbaus. Die größte spielbare Orgel der Welt steht im Wanamaker’s Department Store im US-amerikanischen Philadelphia, aufgebaut im sieben Stockwerke hohen Innenhof des Kaufhauses.

Die Orgel der Evangelischen Stadtkirche Bad Reichenhall kommt aus dem Norden der Republik, aus Hamburg, vom Hersteller Rudolf von Beckerath. Sie wurde in den letzten Jahren auf 38 Register, 2613 Pfeifen auf drei Manualen und Pedal erweitert. „Die Orgel ist sehr flexibel und klingt immer angenehm. Ich kann alle Farben nehmen ohne Angst haben zu müssen, dass es zu laut ist. Aber natürlich kann ich nicht jedes Stück spielen. Es gibt keine Orgel, die alles kann, dann wäre sie charakterlos.“ Wer mehr wissen möchte, schlüpft einfach hinter Matthias Roth hinein ins Instrument. Er gibt regelmäßig Führungen. Die Tür befindet sich auf der rechten Orgelseite. Vorsicht: Kopf einziehen.

HÖRT DIE GLOCKEN

Die Kirchenglocken gehören ebenfalls zur Kirchenmusik. Und Matthias Roth ist Glockensachverständiger der evangelischen Landeskirche. Dazu gab es ein Aha-Erlebnis: Er stand auf dem Nordturm des Eichstätter Doms, es war am Tag vor Heilig Drei Könige und die zweitgrößte Kirchenglocke dort begann zu läuten. „Die hat mich umgehauen. Ihr Klang ist einfach unglaublich und das seit fast 500 Jahren. Von welchem Instrument wissen wir das schon, alle verändern sich. Man versucht sie nachzubauen und schafft es nicht und eine Glocke bleibt einfach wie sie ist. Das fasziniert mich“. In seiner Sachverständigen-Funktion wird Matthias Roth gerufen, wenn beispielsweise ein Wartungsdienst eine große Investition vorschlägt, und eine neutrale Meinung gefragt ist, wenn es Probleme mit dem Geläut gibt oder Risse im Turmbauwerk.

MUSIK VERBINDET

Mit einem großen Chorkonzert pro Jahr, dazwischen Kantatengottesdiensten, Orgelaufführungen, Gastspielen, in den Sommermonaten der traditionellen „Orgel um Fünf“ und in der Silvesternacht dem feierlichen Jahresabschlusskonzert ist die Evangelische Stadtkirche einer der größten Musikveranstalter in der Alpenstadt. Was Matthias Roth dabei sehr zu schätzen weiß: Die Zusammenarbeit und den Austausch mit den Bad Reichenhaller Philharmonikern. Es gibt Chorkonzerte mit dem von ihm geleiteten Motettenchor, beispielsweise bei den Mozart-Tagen und bei Barockkonzerten. Oder er übernimmt als Dirigent die Konzertleitung der Philharmonischen Weihnacht. „Musik ist so was Schönes, Kirchenmusik, Chormusik, klassische Musik. Wenn man zusammen Musik macht, ist es das, worum es im Leben geht: Im Kontakt mit anderen Menschen zu sein – ohne groß darüber nachzudenken“, sagt Matthias Roth.

Dieser Artikel und viele weitere erschienen in der letzten Ausgabe unseres Orchestermagazins.

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